Am Schweineverhalten rechtzeitig Defizite erkennen und vermeiden

Am Schweineverhalten rechtzeitig Defizite erkennen und vermeiden

DI Mirjam Lechner, UEG Hohenlohe-Franken
Das Freisein von Durst, Hunger und Fehlerernährung und damit eine an das Tier und dessen Bedürfnisse angepasste Ernährung wird nicht nur im Tierschutzgesetz § 2 vorgeschrieben, sondern bildet die Grundlage für Tierschutz im Verband zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere (FAWC, 1979) und ist Voraussetzung für das Wohlbefinden von Schweinen. Angepasste Ernährung bezieht sich nicht nur auf die Futtermenge, sondern auch auf die Bedürfnisse der Tierart, das Verdauungssystem, den Wachstums- und Leistungsbedarf und die spezifische Situation (z.B. Hitze/KälteThermoregulation).

„Viele als Untugenden bezeichnete Verhaltensweisen zeigen eigentlich Mangelsituationen an.”

Schweine sind als Monogastrier auf eine sehr Nährstoffdichte, essenzielle Aminosäuren und Vitamine bei einem gleichzeitig hohen genetisch induzierten Wachstum- und Leistungspotential angewiesen. Defizite in der Energie- und Aminosäureversorgung können Verhaltensabweichungen, erhöhte Aktivität und Explorationsdrang hervorrufen. Unruhige, bissige Schweine mit exzessivem Kau- und Explorationsdrang sind häufig nicht aggressiv, sondern in Not. Sie können ihr Problem mit ihrem Verhalten bzw. Instinkt in der limitierenden Bucht nicht lösen. Neben einer Unterversorgung können Verhaltensabweichungen, die zu Verhaltensstörungen und verstetigten Stereotypen führen können, auch durch Überforderungssituationen hervorgerufen werden, in denen das Tier nicht in der Lage ist, einer Mangelsituation durch eine Verhaltensanpassung oder Kompensationsstrategie entgegenzuwirken.

Defizite & Mangelsituationen frühzeitig erkennen

Die Steuerung der Nahrungsaufnahme erfolgt auch über die Kommunikation des enterischen Nervensystems im Magen-Darmtrakt mit sogenannten Chemorezeptoren, welche in Rückkopplung mit Gehirnarealen Verhaltensänderungen auslösen können. Viele als Untugenden bezeichnete Verhaltensweisen zeigen daher eigentlich Mangelsituationen an. Zudem liefern Leistungsrückgänge, wie eine schlechtere Futtereffizienz, Hinweise auf den Gesundheitszustand der Tiere. Gesundheitsbelastungen führen zu einem erhöhten Energie- und Aminosäurebedarf für die Immunantwort, wodurch es trotz einer optimalen Futterberechnung zu einem „sekundären“ Mangel kommen kann. Das Wohlbefinden eines Tieres hängt daher nicht nur von der primären Nährstoffversorgung ab, sondern auch davon, ob aufgrund von Haltung, Klima, Gesundheit oder Entzündungsreaktionen (z.B. Leaky Gut, siehe Seite 4 & 5) ein erhöhter Nährstoffbedarf entsteht und ob das Tier in der Lage ist nicht bedürfnisgerechten Situationen auszuweichen oder Einflüsse zu kompensieren (höhere Futter- oder Wasseraufnahme, Ausweichen auf Raufutter, separate Mineralfutteraufnahme, Beschäftigungsmaterial etc.). In Abbildung 1 sind Hinweise angeführt, um Verhaltensabweichungen einer Mangel- oder Fehlernährung zuzuordnen. Im Gegensatz dazu befinden sich gesunde Schweine mit einer physiologisch ausgewogenen Ration in einer besseren Balance und zeigen ein ausgeglichenes Verhalten.


Abbildung 1: Selbsterhalt & Verhaltenskompass, Lechner 2023

Raufutter und Beschäftigungsmaterial haben sich in der Praxis bewährt

Besonders die Zusammensetzung und physiologische Wirkung der verschiedenen Raufutter und Beschäftigungsmaterialien kann zu einem Wirkungseffekt führen, da sich die Produkte nicht nur in der Hygiene (Mykotoxinbelastung!), sondern auch im Nährstoffgehalt (Rohfaser, Zucker, Eiweiß etc.), im Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen sowie in der Quellfähigkeit und dem Anteil an bakteriell fermentierbarer Faser unterscheiden. Schweine verfügen wie viele andere Tiere auch über einen „Selbstmedikationsinstinkt“. Neben Raufutter haben sich Erden und Gesteinsmehle sowie Toxinbinder und sekundäre Pflanzenstoffe in der Praxis bewährt, um Mangelsituationen auszugleichen und Verhaltensstörungen entgegenzuwirken.

Grenzen der Selbstmedikation & Selbstselektion

„Neben Raufutter haben sich Erden und Gesteinsmehle sowie Toxinbinder und sekundäre Pflanzenstoffe in der Praxis bewährt, um Mangelsituationen auszugleichen und Verhaltensstörungen entgegenzuwirken.”

Fazit

Es gibt kein Patentrezept, wie man das Wohlbefinden seiner Tiere erhöht. Die Auswahl der eingesetzten Materialien und der Erfolg hängen maßgeblich von der Motivation und Interaktion des Betriebsleiters mit seinen Schweinen, ihren Symptomen und Verhaltenssignalen ab. Es gilt das Sprichwort „Das beste Werkzeug ist nur so gut wie die Hand, die es führt“.